Wilhelm vor Schweiz-Abstimmung: "Für Qualitätsinhalte reichen die Kräfte des Marktes nicht aus"

Am Sonntag stimmen die Schweizer über die Zukunft der Rundfunkgebühren ab. Über das Pro und Kontra wird in der Schweiz heftig gestritten. Ulrich Wilhelm, ARD-Vorsitzender und BR-Intendant, zur Bedeutung der Diskussion für Deutschland und Europa:

"In den letzten Wochen vor der Abstimmung hat sich in der Schweiz ein beachtliches gesellschaftliches Engagement gezeigt: Kunst- und Kulturwelt, Sport, Brauchtumsverbände, die Kirchen, aber auch sehr viele Initiativen jüngerer Menschen haben sich für den Erhalt des öffentlich-rechtlichen Rundfunks ausgesprochen.

Eine Debatte in ganz Europa

Das darf allerdings nicht darüber hinwegtäuschen, dass eine grundsätzliche Diskussion zum Stellenwert des öffentlich-rechtlichen Rundfunks über die Schweiz und Deutschland hinaus derzeit in ganz Europa geführt wird. Manche fragen: Sollte man für Qualitätsinhalte nicht allein auf die Kräfte des Marktes vertrauen? Unsere Analyse ergibt ein eindeutiges Nein. Mit einer Vielzahl an Marktlösungen und Bezahlmodellen würde es nicht gelingen, für die unterschiedlichsten Interessen ein Gesamtpaket in dieser Qualität und Vielfalt zu liefern. Ein so breites Angebot zählt zu den öffentlichen Gütern, dabei hat eine solidarische Finanzierung in öffentlich-rechtlicher Trägerschaft eindeutig Vorteile. Die umfassenden Nachrichten- und Informationsangebote, hochwertige Hör- und Fernsehspiele, die Klangkörper und Klassikprogramme, die Kultur- und Bildungssendungen, Unterhaltung und Sportangebote stehen allen Menschen zur Verfügung, unabhängig von ihrer finanziellen Leistungsfähigkeit. In den USA ist das im Durchschnitt erforderliche Budget pro Haushalt für Medienangebote deutlich höher als in Deutschland mit dem starken öffentlich-rechtlichen Rundfunk.

Fähigkeit zur Selbstkritik stärken

In der Zeit des ARD-Vorsitzes wollen wir diesen Wert für die Gesellschaft und die Funktion als Garant des öffentlichen Raums noch stärker vermitteln. Im ARD-Intendantenkreis und als öffentlich-rechtliche Medienhäuser befassen wir uns ohnehin täglich mit kritischen Stimmen aus der Gesellschaft und arbeiten permanent daran, wo und wie wir besser werden können. Dazu gehört auch, die Fähigkeit zur Selbstkritik innerhalb des öffentlich-rechtlichen Rundfunks zu stärken. Wenn einzelne Programme oder Sendungen in der Qualität zu wünschen übrig lassen, müssen wir Kritik akzeptieren und an Verbesserungen arbeiten. Aber was das große Ganze anbelangt, müssen wir immer wieder aufzeigen: Qualität und Vielfalt haben ihren Preis. Man kann nicht einfach sagen, das muss alles immer schlanker werden und zugleich die gleiche Qualität beibehalten wollen.

Regionale Vielfalt als Stärke der ARD

Speziell in der ARD steckt eine große Vielfalt und regionale Kraft, die gut zum föderalen Deutschland passt. Die Stärke der ARD sind neben dem Ersten Deutschen Fernsehen besonders ihre vielgehörten Radiowellen mit täglich 37 Millionen Hörern in Deutschland sowie die in allen Landesteilen verwurzelten Dritten Fernsehprogramme.

Im Übrigen: rein rechtlich ist die Lage in Deutschland mit der gelebten Parlamentsdemokratie nicht vergleichbar mit der auf direkter Demokratie basierenden Grundordnung in der Schweiz. Ein bundesweites Referendum ist im Grundgesetz nicht vorgesehen. Der Funktions- und Grundversorgungsauftrag des öffentlich-rechtlichen Rundfunks ergibt sich aus der in Art. 5 Grundgesetz gewährleisteten Rundfunkfreiheit, wie die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts immer wieder festgestellt hat."

2.3.2018