Statement des GVK-Vorsitzenden in der Anhörung der Enquete-Kommission "Das Vertrauen in den öffentlich-rechtlichen Rundfunk durch Transparenz und Reformwillen stärken" des Landtags von Sachsen-Anhalt zum Thema "Struktur und Arbeitsweise der Gremien im öffentlich-rechtlichen Rundfunk"

(Von Dr. Klaus Sondergeld am 20.06.2025 vorgetragen – es gilt das gesprochene Wort)

Sehr geehrter Herr Vorsitzender, sehr geehrte Damen und Herren Abgeordnete, meine Damen und Herren,

über die Gremien des öffentlich-rechtlichen Rundfunks wird viel gesprochen – aber eher selten mit denen, die in ihnen Verantwortung tragen. Umso mehr danke ich Ihnen für Ihre Einladung zu einem Austausch und auch für die Möglichkeit, Ihnen vorab eine ausführlichere schriftliche Stellungnahme zukommen zu lassen.

Darin habe ich das Arbeitspapier der Otto-Brenner-Stiftung als Leitfaden für meine Argumentation genommen. Es hat mich etwas überrascht, dass daraus ein gesonderter erster Tagesordnungspunkt wurde. Das OBS-Papier wird aber sicher auch den jetzigen zweiten TOP mitprägen.

Vom OBS-Papier ausgehend hat meine Vorab-Stellungnahme ein Schwergewicht bei der Struktur, eben auch der Zusammensetzung, der Gremien bekommen. Zur Arbeitsweise hat das ZDF eine ausführlichere Stellungnahme abgegeben, der ich mich ausdrücklich anschließen möchte. Die Ausführungen gelten im Prinzip auch für alle Anstalten der ARD und ihre Rundfunk- und Verwaltungsräte. Sobald man jedoch Details aufruft, zeigt sich schnell eine Herausforderung – gerade für jemanden wie mich als Vorsitzenden der Gremienvorsitzendenkonferenz der ARD. Denn die Gesetzgeber haben in den Rundfunkgesetzen und Staatsverträgen für die neun Landesrundfunkanstalten teils recht unterschiedliche Vorschriften und Verfahren statuiert. Die Stellungnahmen der MDR-Gremien stellen das für Ihre Landesrundfunkanstalt exemplarisch unter Beweis.

Mit den Unterschieden hat auch Herr Stawowy zu kämpfen gehabt. Trotz der Korrekturen, die am OBS-Arbeitspapier vorgenommen wurden und für die ich Autor und Stiftung ausdrücklich danken möchte, ist ein Irrtum stehen geblieben: Nämlich der Verwaltungsrat habe das Vorschlagsrecht für die Wahl einer Intendantin bzw. eines Intendanten, die - Zitat - "in der Folge vom Rundfunkrat gewählt werden muss". Das stimmt z.B. für den NDR, aber nicht für andere Sender. Und der NDR-Rundfunkrat hat gerade bewiesen, dass dieses "muss" mindestens missverständlich ist.

Die von mir und auch der GVK ausdrücklich begrüßte föderale Vielfalt des öffentlich-rechtlichen Rundfunks in Deutschland macht verallgemeinernde Darstellungen nicht gerade einfach. Bei den sonstigen Vorteilen des Föderalismus ist dies gewiss ein erträglicher Preis, auch wenn er Autoren und "Stellungnehmern" das Leben gelegentlich schwer macht.

Auf viele Fragen, die heute im Raum stehen, hat das Bundesverfassungsgericht bereits schlüssige Antworten gegeben. Die Lektüre seiner maßgeblichen Urteile zum öffentlich-rechtlichen Rundfunk hat mir noch einmal gehörigen Respekt eingeflößt.

Im sogenannten WDR-Urteil von 1991 hat unser höchstes Gericht zum wiederholten Mal festgestellt, – Zitat – "dass die aus Vertretern der gesellschaftlich relevanten Gruppen zusammengesetzten anstaltsinternen Kontrollgremien des öffentlich-rechtlichen Rundfunks eine verfassungsmäßige Möglichkeit bilden, die Rundfunkfreiheit organisatorisch zu sichern". Und darum sollte es primär bei allen Diskussionen um den öffentlich-rechtlichen Rundfunk gehen: die Sicherung des Grundrechts auf Rundfunkfreiheit. Trägerinnen und Träger dieses Grundrechts nach Art. 5 Grundgesetz sind die Rundfunkanstalten. Ausgeübt wird es durch die Programmmacherinnen und -macher und die Programmverantwortlichen, an der gesamtverantwortlichen Spitze die Intendantinnen und Intendanten. Sie kommen in diese grundrechtlich privilegierte Position durch eine demokratisch legitimierte Wahl in den Rundfunkräten (Hörfunk- und Fernsehrat immer eingeschlossen).

Die Kontrollgremien begleiten die Intendantinnen und Intendanten – und alle ihnen unterstellten Programmverantwortlichen – als "Sachwalter des Interesses der Allgemeinheit". Sie tun dies durch Kritik, durch Empfehlungen, auch durch Lob und, wenn gefordert, durch die Behandlung von Programmbeschwerden.

Nach meiner nunmehr schon neunjährigen Erfahrung erfüllen die Mitglieder der Gremien ihre Aufgabe mit enormem Engagement, mit Gewissenhaftigkeit und mit beachtlichem Erfolg. Wie im richtigen Leben kommt es dabei auch zu Uneinigkeiten und Konflikten, es geht auch mal etwas schief. Aber alles in allem müsste man die Gremien erfinden, wenn es sie nicht schon gäbe.

Dabei haben insbesondere die Mitglieder der Rundfunkräte einen „Spagat“ zu bewältigen. Sie werden als Vertreter gesellschaftlich relevanter Gruppen entsandt. Ihre Auswahl dient aber nur als – so das Bundesverfassungsgericht wörtlich – "Rekrutierungsprinzip" für die Zusammensetzung zahlenmäßig zwangsläufig begrenzter Gremien, womit ein Mindestmaß an unterschiedlichen Standpunkten, Perspektiven, Weltsichten und -anschauungen und damit eine größtmögliche Annäherung an das Interesse der Allgemeinheit gewährleistet werden soll. Sie sollen, so das Bundesverfassungsgericht wörtlich, "dort aber gerade keine partikularen Interessen zur Geltung bringen".

Lassen Sie mich daran einen Appell anschließen: Wer immer meint, die Zusammensetzung der Rundfunkräte entspreche nicht ausreichend der Aufgabe, das Allgemeininteresse zu formulieren, der richte seine Kritik bitte nicht an die Gremien. Dort sitzen Bürgerinnen und Bürger, die sich nach bestem Wissen und Gewissen mit meist hohem zeitlichen Aufwand ehrenamtlich bemühen, ihrer verantwortungsvollen Aufgabe gerecht zu werden. Die Kritik richte sich bitte an die jeweiligen Landesparlamente.

Das Bundesverfassungsgericht hat dem Gesetzgeber einen weiten Entscheidungsspielraum eingeräumt, – Zitat – „das Kriterium gesellschaftlicher Relevanz zu konkretisieren, die danach in Betracht kommenden Kräfte zu ermitteln (…) und unter diesen die entsendungsberechtigten auszuwählen (…)“. Diesen verfassungsmäßigen Spielraum haben die 16 Landesgesetzgeber recht unterschiedlich ausgefüllt. Und folglich gibt es eine Reihe von Übereinstimmungen und Ähnlichkeiten, aber auch Besonderheiten in der Zusammensetzung der Gremien. Auch das ist Föderalismus.

Nun kurz zum Einfluss der Politik auf die Arbeitsweise der Gremien. Zunächst: Wiederum hat das Bundesverfassungsgericht glasklar definiert, wer als staatliches oder staatsnahes Gremienmitglied zu gelten hat und damit unter die Ein-Drittel-Quote fällt. Zitat: "Maßgeblich ist hierfür, ob es sich um eine Person handelt, die staatlich-politische Entscheidungsmacht innehat oder im Wettbewerb um ein hierauf gerichtetes Amt oder Mandat steht und insoweit in besonderer Weise auf die Zustimmung einer breiteren Öffentlichkeit verwiesen ist." Für Parteimitglieder beginnt das ab einer Mitgliedschaft in Landesvorständen, gilt aber auch, wenn sie von ihrer Partei entsandt wurden.

Es geht dabei also darum, einer möglichen politisch-kommunikativen Vorteilsnahme vorzubeugen. Diese Gefahr der Vorteilsnahme gilt bei einfachen Parteimitgliedern, die nicht von ihrer Partei, sondern von einer gesellschaftlichen Gruppe entsandt wurden, verfassungsrechtlich als nicht gegeben.

Aber üben Parteimitglieder nicht politischen Einfluss aus? Gegenfrage: Wenn beispielsweise der Vertreter des Landessportbunds zwar nicht Parteimitglied, aber zusätzlich etwa Mitglied einer Umweltorganisation ist, übt er dann nicht auch – mindestens bei allen Umweltthemen und der entsprechenden Programmbeobachtung – politischen Einfluss aus, wenn er sich zu Wort meldet? Man kann noch viele andere Beispiele dieser Art finden.

Die Idealvorstellung eines politikfreien Gremiums hilft nicht weiter. Dazu ist fast jeder Beratungsgegenstand zu politisch. Denn Gegenstand von Politik ist die Regelung und Gestaltung unseres Zusammenlebens. Das zu spiegeln ist der Rundfunk beauftragt – in Information, Beratung, Kultur und Unterhaltung.

Außerdem: Was transportiert das OBS-Papier für ein Parteienbild? Demokratische Parteien sind keine autoritären Kaderorganisationen. Auf den Leipziger Medientagen war beispielsweise zu beobachten, wie zwei Mitglieder ein und derselben Partei auf dem Podium ziemlich unterschiedliche Positionen zur Verfassungsbeschwerde der Anstalten einnahmen. Da saßen sozusagen zwei CDUen. Und ich werde Ihnen jetzt z.B. auch nicht verraten, ob ich mit dem Manifest der SPD-Linken sympathisiere oder mit dem Bundesverteidigungsminister. Aber so unterschiedlich sind Meinungsbilder und so breit sind Meinungsspektren in Parteien!

Außerdem sind stets mehrere Parteien in den Gremien präsent, die sich womöglich gegenseitig neutralisieren. Und auch die meisten parteilosen Gremienmitglieder werden sich wie alle politisch Interessierten auf der demokratischen Skala von, sagen wir, links-progressiv bis recht-konservativ verorten können.

Ich habe mich inzwischen daran gewöhnt, in der Debatte um das OBS-Papier einen neuen Vornamen bekommen zu haben: Wie "Bahnchef Lutz" bin ich jetzt "SPD-Mitglied Sondergeld". Obwohl mich das nach meinem Empfinden nur zu einem recht kleinen Teil ausmacht, kann ich damit leben, weil ich die Mitgliedschaft in einer demokratischen Partei nicht als Schande begreife.

Ich finde aber, wir sollten der OBS nicht auf ihrem quasi identitätspolitischen Irrweg folgen. Das Dasein und Sosein auch von Gremienmitgliedern lässt sich nicht auf wenige Merkmale reduzieren. Selbst ein Parteimitglied ist noch vieles mehr und hat immer das Potential, sich und seine Meinung oder Haltung zu ändern. Das dürfte sogar für ehemalige Staatssekretäre und Ministerinnen gelten, die nach einer durchweg geltenden Karenzzeit in Gremien sitzen. Entscheidend sollte doch eigentlich ein jeweiliges Argument sein und nicht eine Schachtel, in die man eine Person schon vor dem Zuhören einsortiert.

Und genau so – positiv – erlebe ich die Arbeitsweise in den Gremien, die ich durch Mit-Tun näher kenne: Rundfunk- und Verwaltungsrat von Radio Bremen und die GVK. Letztere gewinnt noch obendrein durch die unterschiedliche geographische und landsmannschaftliche Herkunft ihrer Mitglieder. Auch das ist Föderalismus, wie er leibt und lebt.

In meiner schriftlichen Stellungnahme habe ich aufgeführt, was sich alles seit dem 3. Medienänderungsstaatsvertrag in der Arbeitsweise der Gremien verändert hat. Erwähnen möchte ich abschließend
  • die von etwa 200 Ehrenamtlichen aus allen neun Landesrundfunkanstalten in vielen Diskussionen erarbeiteten Qualitätsrichtlinien,
  • die wiederum dezentrale, aber gut gesteuerte Einübung in ihre Anwendung, die noch läuft,
  • die ausformulierten und vereinheitlichten Compliance-Regeln,
  • die Schaffung neuartiger zentraler Fortbildungsangebote, die gut wahrgenommen werden
  • und die Erarbeitung des ARD-Governance-Kodexes, der gerade an alle Rundfunk- und Verwaltungsräte zur abschließenden Beschlussfassung gegangen ist.

Auch der Reformstaatsvertrag wird die Arbeitsweise der Gremien noch einmal verändern.

Ganz zum Schluss noch ein Appell: Lassen Sie uns bei allen Optimierungsanstrengungen Maß und Mitte bewahren! Neue Vorschriften und zusätzliche Verfahren bedeuten immer auch Mehrarbeit. Ehrenamtliche Gremien brauchen dafür zusätzliche hauptamtliche Unterstützung. In anderen Kontexten nennt man solche Prozesse gern kritisch „Bürokratisierung“. Lassen Sie uns alles Notwendige tun, aber mit Augenmaß.

Gern beantworte ich Ihre Fragen und danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.

20.6.2025