Rundfunkfreiheit: Ein Überblick der wichtigsten Urteile aus Karlsruhe

Die Rundfunklandschaft in Deutschland ist stark geprägt von der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts. Auch aktuell steht eine Entscheidung aus. Es geht um die Anpassung des Rundfunkbeitrags um 86 Cent.

ARD, ZDF und das Deutschlandradio haben das Bundesverfassungsgericht angerufen. Konkret geht es um die Anpassung der Rundfunkbeitrags um 86 Cent – eigentlich vorgesehen für die Zeit ab dem 1. Januar 2021.

Die öffentlich-rechtlichen Sender wollen die von Sachsen-Anhalt blockierte Erhöhung des Rundfunkbeitrags so auf juristischem Weg erreichen. Sachsen-Anhalts Ministerpräsident Reiner Haseloff hatte den Gesetzentwurf am 8. Dezember 2020 vor der Abstimmung im Landtag zurückgezogen. Weil die Zustimmung aller Bundesländer Voraussetzung ist, kann der Staatsvertrag vorerst nicht in Kraft treten.

Die Rundfunkfreiheit ist in Deutschland ein Grundrecht und damit ein sehr hohes Gut. Das Verfassungsgericht hat in seinen Urteilen über die Jahrzehnte klargemacht, wie wichtig die Rolle der KEF (Kommission zur Ermittlung des Finanzbedarfs) ist, um ein staatsfernes Verfahren zu gewährleisten. Die KEF soll eine von der Politik unabhängige Finanzierung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks sicherstellen. Damit sind der Politik auch enge Grenzen gesetzt, wenn sie von dem Beitragsvorschlag der KEF abweichen will.

Es ist nicht der einzige Punkt, bei dem das Bundesverfassungsgericht weitreichende Entscheidungen für das Rundfunksystem in Deutschland getroffen hat. Ein Überblick.

Rundfunkurteil (1961): "Deutschland-Fernsehen"

Anlass:
  • Der Bund wollte ein "Deutschland-Fernsehen" in Form einer von der Bundesregierung kontrollierten GmbH als Alternative zur ARD etablieren (CDU-Vorstoß)
Das Urteil:
  • Die Richter entschieden: Rundfunk ist Ländersache
  • Die Rundfunkanstalten sind Trägerinnen des Grundrechts der Rundfunkfreiheit und genießen deshalb Programmautonomie
  • Rundfunk ist grundsätzlich staatsfrei (heute: „staatsfern“) zu organisieren
  • Das Rundfunkmonopol des öffentlich-rechtlichen Rundfunks ist gerechtfertigt durch den Frequenzmangel und die hohen Kosten der Veranstaltung von Rundfunk.
  • Das binnenplurale Modell der Gremien stellt sicher, dass im Programm alle gesellschaftlichen Strömungen und Meinungen zu Wort kommen.
  • Urteil gilt als "Magna Charta" der verfassungsrechtlichen Rundfunkordnung in Deutschland

Rundfunkurteil (1981): "FRAG-Urteil" zu privatem Rundfunk

Anlass:
  • Das Saarland hatte als erstes Bundesland den privaten Rundfunk zugelassen
  • Das geänderte saarländische Rundfunkgesetz wurde auf Verfassungsmäßigkeit überprüft
Das Urteil:
  • Das Gericht entschied: Der Gesetzgeber hat den Zugang zur Veranstaltung privater Rundfunkprogramme zu regeln (Grundlage der dualen Rundfunkordnung)
  • Es verpflichtet den Gesetzgeber zur gesetzlichen Ausgestaltung des Grundrechts der Rundfunkfreiheit
  • Diese müsse sicherstellen, dass die Vielfalt der bestehenden Meinungen im Rundfunk in größtmöglicher Breite und Vollständigkeit zum Ausdruck komme
  • Die Bundesländer dürfen ein außenpluralistisches Modell zur Vielfaltssicherung für die Privaten vorsehen, um die gleichgewichtige Vielfalt der Meinungen auch im Privatrundfunk zu gewährleisten
  • Begrenzte Staatsaufsicht

Rundfunkurteil (1986): "Niedersachsen" - Was bedeutet Grundversorgung?

Anlass:
  • Auch in Niedersachsen wurde das Rundfunkgesetz geändert, um die Regeln für private Anbieter festzulegen
  • Gegen dieses Gesetz wurde geklagt
Das Urteil:
  • Das Bundesverfassungsgericht betonte, es sei in der entstandenen dualen Rundfunkordnung die Aufgabe der öffentlich-rechtlichen Anstalten, eine unerlässliche Grundversorgung der Bevölkerung mit Rundfunkprogrammen zu gewährleisten.
  • "Grundversorgung" umfasst nach dem Bundesverfassungsgericht im Wesentlichen drei Elemente: Die Versorgung der gesamten Bevölkerung mit Rundfunkprogrammen, die Veranstaltung von Programmen, die  Information, Bildung und Unterhaltung in voller Breite ("klassischer Auftrag") sicherstellen und die Gewährleistung der Meinungsvielfalt innerhalb des Programms
  • Damit korrespondiert zur Sicherstellung dieses Auftrags eine grundsätzliche Bestands- und Entwicklungsgarantie sowie Finanzgarantie für die Öffentlich-Rechtlichen
  • Die Grundversorgung durch Öffentlich-Rechtliche ist Voraussetzung für die Zulässigkeit von privatem Rundfunk, an den weniger Anforderungen gestellt werden bzgl. der Breite des Programmangebotes und der Sicherung gleichgewichtiger Vielfalt

Rundfunkurteil (1987): "Baden-Württemberg-Beschluss" - Entwicklungsgarantie

Anlass:
  • Verfassungsbeschwerde der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten Süddeutscher Rundfunk (SDR) und Südwestfunk (SWF) gegen Teile des baden-württembergischen Landesmediengesetzes
  • Das Landesmediengesetz untersagte den öffentlich-rechtlichen Rundfunkanbietern unter anderem zusätzliche regionale und lokale Rundfunkprogramme sowie das Angebot „neuer Dienste mittels neuer Techniken“
Das Urteil:
  • Das Gericht entschied: Der Ausschluss der Öffentlich-Rechtlichen von bestimmten Programmformen und neuen Diensten ist nicht zulässig.
  • Das Urteil statuiert explizit eine Bestätigung der Bestands- und Entwicklungsgarantie für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk

Rundfunkurteil (1991): "WDR-Gesetz/LRG NRW-Entscheidung"

Anlass:
  • Das Bundesverfassungsgericht prüfte die Verfassungsmäßigkeit des geänderten WDR-Gesetzes sowie des nordrhein-westfälischen Landesrundfunkgesetzes
  • Antragssteller bemängelten eine darin „festgeschriebene Übermacht des öffentlich-rechtlichen Rundfunks“ über die privaten Sender
Das Urteil:
  • Die im fünften "Rundfunkurteil" formulierte Bestands- und Entwicklungsgarantie für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk wurde zu einer an den dynamischen Rundfunkbegriff ausgerichteten  Entwicklungsgarantie ausgeweitet
  • Diese umfasse auch die Erschließung neuer Übertragungswege (z. B. Satellit und Kabel)
  • einer Kooperation von öffentlich-rechtlichen und privaten Rundfunkanbietern sei von Verfassung wegen nichts entgegenzusetzen, so lange sie nicht den Grundauftrag gefährde
  • Außerdem erklärte das Gericht eine (neben die Gebührenfinanzierung tretende) Werbefinanzierung der öffentlich-rechtlichen Sender für verfassungsgemäß ("Mischfinanzierung"), sofern die Gebührenfinanzierung die vorrangige Finanzquelle des öffentlich-rechtlichen Rundfunks bleibe
  • Kontrollgremien müssen zudem Meinungsvielfalt sicherstellen; Mitglieder dürfen keine Lobbyarbeit für ihre jeweilige Gruppe machen, sie sind vielmehr als Sachwalter der Allgemeinheit zu sehen
  • Das nordrhein-westfälische Lokalrundfunkmodell ist zulässig

Rundfunkurteil (1992): "Hessen 3-Entscheidung" zu Werbeverbot

Anlass:
  • Verfassungsbeschwerde des Hessischen Rundfunks gegen das Werbeverbot in den Dritten Programmen
Das Urteil:
  • Ein Werbeverbot im öffentlich-rechtlichen Rundfunk ist grundsätzlich eine zulässige Ausgestaltung der Rundfunkfreiheit, sofern die Finanzierung dabei gesichert bleibe, so die Richter
  • Das Werbeverbot für die dritten Programme der ARD ist dementsprechend verfassungsrechtlich zulässig
  • Die Grundversorgung muss primär durch Gebühren finanziert werden

Rundfunkurteil (1994): "Rundfunkgebühren I"

Anlass:
  • Gebührenzahler klagten in Bayern gegen den sogenannten "Kabelgroschen" (ein Teil der Gebühr, der für Kabelpilotprojekte umgewidmet wurde)
  • Die Frage war, ob solch eine Gebührenzweckbindung verfassungswidrig war
Das Urteil:
  • Das Bundesverfassungsgericht nutzte das Verfahren, um die Vorgaben für das Verfahren, wie Gebühren festgesetzt werden, staatsfreier auszugestalten
  • Das Verfahren müsse in der Weise ausgestaltet sein, dass es 1. eine funktionsadäquate Finanzierung der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten gewährleiste, die den Grundversorgungsauftrag absicherten (Programmakzessorietät) und 2. – die Staatsfreiheit und Programmautonomie garantiere (Programmneutralität)
  • Die Richter entschieden, dass die Rundfunkgebühr nicht zu Zwecken der Programmlenkung oder der Medienpolitik eingesetzt werden darf. Es geht hier also um das Trennungsgebot von medienpolitischen Entscheidungen und der Finanzierungsentscheidung
  • Fortan wurde das dreistufige Verfahren eingeführt, um mehr Staatsferne zu garantieren.
  • Die Rundfunkanstalten melden ihren Bedarf selbst an. Die KEF (1975 erst gegründet) bekommt durch Prüfung des Finanzbedarfs (Gutachter-Funktion) nun eine prominentere Rolle (zuvor war sie nur eine Art Hilfsorgan der Länderchefs) und gibt eine Empfehlung ab. Diese wird in einem Staatsvertrag rechtverbindlich.
  • Wichtig auch: Das Bundesverfassungsgericht sieht die Widmung der Rundfunkgebühr für andere Zwecke als die unmittelbare Finanzierung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks auch als zulässig an, falls die Sender zumindest mittelbar an den dadurch angestrebten Zielen teilhaben können (etwa beim Ausbau von Kabelnetzen)

Rundfunkurteil (1998): "Kurzberichterstattung"

Anlass:
  • Das WDR-Gesetz und das Rundfunkgesetz NRW sehen die Möglichkeit der unentgeltlichen Kurzberichterstattung (i.d.R. mit einer Länge von 90 Sekunden) über öffentlich zugängliche Veranstaltungen und Ereignisse von allgemeinem Informationsinteresse vor
  • Heißt: Wer einen Exklusivvertrag mit einem Fernsehveranstalter abschließt, muss einem zweiten die Kurzberichterstattung zugestehen
  • Diese Regelung wurde überprüft
  • Ziel der Regelung war die Verhinderung von Informationsmonopolen und die Sicherung einer umfassenden Berichterstattung im Free-TV
Das Urteil:
  • Recht auf "nachrichtenmäßige Kurzberichterstattung im Fernsehen" ist verfassungskonform
  • Dieses Recht darf aber nicht "unentgeltlich ausgestaltet" werden

Rundfunkurteil (2007): "Rundfunkgebühren II" - Abweichen von der KEF-Empfehlung

Anlass:
  • ARD, ZDF und das Deutschlandradio legten Verfassungsbeschwerde ein gegen die Festsetzung der Rundfunkgebühr für den Zeitraum 2005 bis 2008
  • Die Länder waren zuvor um 28 Cent unter der von der KEF empfohlenen Gebühr geblieben
Das Urteil:
  • Die Gründe, auf die sich der Gesetzgeber für die Abweichung vom Gebührenvorschlag der KEF beruft, hatten vor der Rundfunkfreiheit keinen Bestand
  • Länder dürfen nicht aus medienpolitischen Gründen (Programmangebot, Programmauftrag, Inhalte etc.) von KEF-Gebührenempfehlung abweichen
  • Diese Möglichkeit steht ihnen nur offen, "wenn die Gebührenzahler durch die Höhe der Gebühr unangemessen belastet (werden)" oder die Höhe der Gebühren den Informationszugang versperren würde, sowie bei offensichtlichen Fehlern bei der Bestimmung des Bedarfs durch die KEF
  • Das Urteil könnte nun auch für die erwarteten Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts eine große Rolle spielen

Rundfunkurteil (2014): "ZDF-Staatsvertrag" - Wie sollen die die Gremien besetzt sein?

Anlass:
  • Landesregierungen von Rheinland-Pfalz und Hamburg klagten gegen den ZDF-Staatsvertrag und dessen Vorschriften zur Gremienzusammensetzung
  • Hintergrund war der Umstand, dass Unionsvertreter im ZDF-Verwaltungsrat unter Führung des damaligen hessischen Ministerpräsidenten Roland Koch (CDU) aus unverkennbar politischen Motiven durchgesetzt hatten, den Vertrag mit ZDF-Chefredakteur Nikolaus Brender nicht zu verlängern
  • Kläger waren der Ansicht, dass nach heutigem Rechtsverständnis sowohl dem Fernsehrat als auch dem Verwaltungsrat zu viele Staats- und Politikvertreter angehörten
Das Urteil:
  • Die Richter entschieden, dass Regierungsvertreter und weitere Politiker in den Aufsichtsgremien öffentlich-rechtlicher Sender nur mit maximal einem Drittel repräsentiert sein dürfen
  • Bis zu dieser Obergrenze hätten sie keinen bestimmenden Einfluss, so die Richter
  • Die Entscheidung führte zur Anpassung der Gesetze und Staatsverträge hinsichtlich anderer Rundfunkanstalten.

Rundfunkurteil (2018): "Rundfunkbeitrag"

Anlass:
  • Nach Umstellung von Rundfunkgebühr auf den Rundfunkbeitrag hatten drei Privatpersonen und das Mietwagenunternehmen Sixt Verfassungsbeschwerde erhoben
  • Nach Ansicht der Kläger handelte es sich nicht um einen "Beitrag", sondern um eine "Steuer". Dann hätten die Länder den Rundfunkbeitrag mangels Zuständigkeit für die Einführung von Steuern nicht umstellen dürfen
Das Urteil:
  • Die Richter am Bundesverfassungsgericht bestätigten, dass es sich um einen "Beitrag" handelt, der für die Möglichkeit jedes Einzelnen erhoben wird, das Angebot der öffentlich-rechtlichen Sender als Gegenleistung zu nutzen
  • Den Rundfunkbeitrag pro Wohnung zu erheben, sei vom Spielraum des Gesetzgebers gedeckt, so das Gericht. Rundfunk werde typischerweise in der Wohnung empfangen, häufig auch gemeinschaftlich. Das sei durch statistische Erhebungen gedeckt
  • Gleichzeitig äußerte sich das Gericht auch, was die Regelung für Zweitwohnungen betrifft: Wer den Beitrag für eine Wohnung bezahlt hat, der habe für die Möglichkeit des Empfangs bereits bezahlt, so die Richter. Wer einen Zweitwohnung bewohnt,  kann künftig nicht pauschal zur Zahlung des Beitrags herangezogen werden. Die Inhaber würden sonst für denselben Vorteil doppelt zahlen

17.12.2020