Historische Erinnerungslücken

Interview mit Prof. Thomas Birkner über Hans Abich

Hans Abich (Bild: Radio Bremen /Do Leibgirries)

Hans Abich, einst Intendant von Radio Bremen und ARD-Programmdirektor, hat seine NS-Vergangenheit nach Kriegsende geschönt und teilweise gelogen. Abich war seit 1937 Mitglied der NSDAP – das hatte er immer geleugnet. Eine Recherche der Wochenzeitung "Die Zeit" brachte den Makel im Lebenslauf von Hans Abich 2021 ans Licht. Im Auftrag der ARD-Intendantinnen und Intendanten hat der Salzburger Professor Thomas Birkner nun die Vergangenheit von Hans Abich untersucht. Der Gutachter für die Historische Kommission der ARD kommt zu dem Ergebnis: Abich war Teil der NS-Propaganda, wenn auch ein kleiner. Mit Thomas Birkner sprach Jens Otto von Radio Bremen.

Jens Otto: Welche Rolle hat Hans Abich in der NS-Zeit gespielt? Auf welche Weise hat er sich nationalsozialistisch bemerkbar gemacht?

Thomas Birkner (Bild: Uni Salzburg /Alois Pluschkowitz)

Thomas Birkner: Abich hat sich nicht großartig nationalsozialistisch bemerkbar gemacht, seine Vergangenheit fällt einem nicht sofort ins Auge, deshalb konnte sie auch so lange verborgen bleiben. Er studierte in den Kriegsjahren Jura und Auslandswissenschaften. Abich arbeitete in dieser Zeit auch für das "Reichsministerium für Volksaufklärung und Propaganda". Später war Abich stellvertretender Hauptschriftleiter – also heute stellvertretender Redaktionsleiter – bei den studentischen Zeitschriften "Geist der Zeit" und "Sieg der Idee". Letztere hieß im Untertitel "Führerorgan der Studenten Großdeutschlands". Diese beiden Zeitschriften, und insbesondere letztere, transportierten schon deutlich die NS-Ideologie. Allerdings können wir nicht sagen, was Abich als Mitarbeiter dieser Zeitschrift genau getan hat. Und noch weniger können wir etwas darüber sagen, was er gedacht hat.

Abich hat gelegentlich auch für die "Nachrichten des deutschen Auslandswissenschaftlichen Instituts" geschrieben. Bei unseren Recherchen haben wir einige namentlich gekennzeichnete Texte gefunden. Teilweise sind sie sehr nüchtern und neutral, teilweise aber auch sehr pathetisch und in der ideologisch aufgeladenen Sprache der Zeit: Das sind vor allem Nachrufe auf an der Front gefallene ehemalige Studenten.

Jens Otto: War Abich Ihren Erkenntnissen nach eher Mitläufer oder war er verwurzelt in der NS-Ideologie?

Thomas Birkner: Das ist rein aufgrund der Dokumentenlage schwer einzuschätzen. Wir konnten einige Texte analysieren, aber nicht in Abichs Kopf hineinschauen. Wir können nicht sagen, ob er wirklich glaubte und wirklich hinter dem stand, was er da geschrieben hat. Ich halte ihn eher für einen der vielen Mitläufer, der sich angepasst hat und versuchte durchzukommen. Wir müssen noch mitbedenken: Abich war an Kinderlähmung erkrankt und konnte keinen Kriegsdienst leisten. Er war einer der sehr wenigen Männer an der Uni, sonst studierten dort hauptsächlich Frauen. Womöglich hatte er das Gefühl, er müsse mit der Verbreitung von Propaganda seinen Beitrag an der Heimatfront leisten. 

Jens Otto: Wie hat Hans Abich später seine Rolle in dieser Zeit dargestellt? Wo gehen seine Erzählung und die tatsächlichen Ereignisse auseinander?

Thomas Birkner: Es ist auffällig, dass Abich über die Kriegsjahre vor allem berichtet, er habe Jura studiert und das Kriegsende als Gerichtsreferendar in Salzburg erlebt. Er verschwieg, dass er seit 1937 Mitglied der NSDAP war, er hat nichts davon erzählt, dass er fürs NS-Propagandaministerium gearbeitet hat und auch seine Tätigkeiten für die Zeitschriften hat er eigentlich nicht erwähnt. Während es ganz wenige Hinweise auf "Geist der Zeit" gibt, war von "Sieg der Idee" nie die Rede – und das ist eben auch die eigentlich ideologisch deutlich auffälligere Schrift. Das ist das eigentlich Problematische, dass diese Dinge erst viele Jahre später herauskommen.

Jens Otto: Wie kam es, dass Hans Abich seine Vergangenheit so leicht verschweigen konnte? Wie war die Quellenlage?

Thomas Birkner: Man muss schon gründlich nach Dokumenten suchen, es gibt nicht sehr viel. Wir haben vor allem mit seinen Personalakten der Reichsjustizverwaltung und aus dem "Reichsministerium für Volksaufklärung und Propaganda"“ gearbeitet, mit Bewerbungsunterlagen, Beurteilungen und auch seinen Lebensläufen. Dann gab es diese beiden Zeitschriften, wobei vor allem "Sieg der Idee" tatsächlich besonders stark Führerkult und Durchhaltewillen propagiert.

Jens Otto: Hans Abich hatte diesen Bruch in der Biografie nach Kriegsende 1945. Konnten Sie nachvollziehen, ob er das Denken aus der Nazizeit tatsächlich abgelegt hat?

Thomas Birkner: Abich hat nach Kriegsende nicht die Wahrheit gesagt über seine Biographie in der NS-Zeit, aber ich kann auf der Basis meiner Beschäftigung mit seinem Wirken vor 1945 nicht sagen, er hätte NS-Ideologie irgendwie in sein Wirken bei Radio Bremen oder in der ARD eingebracht.

Jens Otto: Es ist aber auch schwer zu sagen, ob es wirklich seiner inneren Überzeugung entsprach, wofür er sich bei ARD und Radio Bremen eingesetzt hat? Sie konnten Abich, wie Sie sagten, nicht in den Kopf schauen.

Thomas Birkner: Ob man aufgrund seines Wirkens vor 1945 das Wirken von Abich nach 1945 neu bewertet werden muss, müssen letztlich die ARD-Verantwortlichen entscheiden. Und wir alle als Gesellschaft. Abich ist nicht der einzige, bei dem erst Nachforschungen ergeben haben, dass da stärkere braune Flecken auf der vermeintlich weißen Weste sind. Wie gehen wir damit um? Aber das ist losgelöst vom Einzelfall Hans Abich eine Frage für uns Nachgeborene und die Gesellschaft insgesamt.

Jens Otto: Inwiefern ist denn Hans Abich ein typischer Vertreter dieser Generation von Führungskräften in der jungen Bundesrepublik?

Thomas Birkner: Der Wiederaufbau nach dem Zweiten Weltkrieg hat es an vielen Stellen mit sich gebracht, dass belastete Männer und gelegentlich auch Frauen in unterschiedlichsten Gesellschaftsbereichen wieder tätig wurden. Das ist beispielsweise für die deutsche Außenpolitik und das Auswärtige Amt, die Justiz und auch für deutsche Medien zumindest in Teilen aufgearbeitet. Wenn wir von personellen Kontinuitäten sprechen, geht niemand mehr ernsthaft von einer "Stunde Null" im Jahr 1945 aus. Man hat nicht bei jedem Einzelnen genau hingesehen. Diese sehr lückenhafte Beschäftigung mit der eigenen Biographie vor 1945 funktionierte natürlich im Wechselspiel mit einer Gesellschaft, die auch nicht immer alles wissen wollte.

Jens Otto: Können Sie Herrn Abich in Beziehung setzten zu anderen bekannten Namen der Medienbranche, deren Vergangenheit später diskutiert wurde? Etwa der Verleger Henri Nannen oder ZDF-Gründungsintendant Karl Holzamer zum Beispiel. Kann man die Fälle vergleichen?

Thomas Birkner: Natürlich war Hans Abich offensichtlich propagandistisch aktiv und insofern Teil des NS-Regimes, allerdings auf einem anderen Niveau als zum Beispiel Henri Nannen, der Teil einer Propagandakompanie war, die dezidiert Nazi-Propaganda und NS-Hetzschriften verbreitet hat. Die Zeitschriften, an denen Abich mitgearbeitet hat, enthielten eher intellektuelle Texte, teils von Professoren verfasst. Diese Zeitschriften versuchten mehr oder weniger wissenschaftlich zu begründen, warum Deutschland den Zweiten Weltkrieg gar nicht verlieren kann oder auf jeden Fall noch gewinnen wird. Verglichen mit anderen Propaganda-Beispielen dieser Zeit sind das keine Hetzschriften.

29.4.2023